„Phantasiebilder“ der Kausalität bei Max Weber. Eine Replik auf Karsten Fischers Beitrag
Florian Englmaier, 29 January 2021
Die Überschrift der Vortragsreihe am CAS lautete ja „Zur Aktualität von Max Weber“, im Blog wurde das umgewidmet in „Max Weber Today“. Meiner Replik auf den Beitrag von Karsten Fischer möchte ich daher eine kleine, allgemeinere, Beobachtung voranstellen: Ein Indiz dafür, dass Webers Ideen uns immer noch umtreiben, wir aber im täglichen Umgang die Zuordnung gar nicht mehr wahrnehmen, sehe ich in dem bemerkenswerten Umstand, dass in keinem der beiden Research Foci, an denen ich am Center for Advanced Studies der LMU beteiligt war – zunächst in einem Schwerpunkt zum Thema „Evidenzbasierte Praxis“, in dem es um die Fundierung von (Politik)Beratung durch kausale Evidenz ging, und jetzt in unserem aktuellen Schwerpunkt „Democracy in Crisis“ –, der Name Weber in der Konzeptionsphase auftauchte. Aber wie Karsten Fischers Einlassungen eindrücklich darlegen, wäre das angezeigt gewesen!
Nun zu meinem eigentlichen Punkt, den Anmerkungen zum konkreten Kausalitätsbegriff: In der Ökonomie war die sogenannte „credibility revolution“ der prägende Trend der letzten 15 bis 20 Jahre. Hierbei ging es darum, in empirischer Arbeit einen starken Fokus auf die Etablierung kausaler Zusammenhänge zu richten. Dies führte, zum Teil, auch zu einer methodischen Verengung auf RCTs, also auf Feldexperimente (randomized controlled trials). Dies fand auch in der Verleihung des Nobelpreises 2020 an Banerjee, Duflo und Kremer – für die Entwicklung ihres experimentell basierten Ansatzes zur Bekämpfung der globalen Armut – seinen Niederschlag. Dieser Ansatz legt weniger Wert auf eine normativ-theoretische Fundierung von Lösungsvorschlägen, sondern propagiert eine empirisch motivierte „what works“-Herangehensweise.
In dieser Hinsicht finde ich Karsten Fischers Beitrag extrem belebend, da er mir einen Aspekt von Webers Werk in Erinnerung gerufen hat, der mir nicht mehr präsent war. Die „Phantasiebilder“, die er benennt, sind in der Volkswirtschaft unsere altbewährten Modelle. Auch hier gilt, „um die wirklichen Kausalzusammenhänge zu durchschauen, konstruieren wir unwirkliche“ (Max Weber). Dazu dient die ökonomische Modellbildung. Mithilfe komparativer Statik betreiben wir Hypothesenbildung und leiten prinzipiell testbare Implikationen ab.
Während nun Banerjee, Duflo und Kremer, zumindest über lange Zeit, einen de facto theoriefreien Ansatz propagierten, bei dem stets RCTs zeigen sollen „what works“, hat Angus Deaton, Nobelpreisträger 2015, sehr energisch hervorgehoben, dass, ganz im Weberschen Sinne, die Randomisierung alleine, ohne theoretische Modellierung, nur sehr beschränkt zur Erkenntnis beiträgt. Deaton betont, dass die Interpretation der Ergebnisse eines RCT stets Annahmen erfordert. Zum Beispiel ist es nicht immer sichergestellt, dass Menschen die ihnen angetragenen Interventionen akzeptieren („non-compliance“). Dem kann man durch entsprechende statistische Methoden Rechnung tragen, oder, noch besser, indem man modelliert, warum Menschen Interventionen annehmen oder nicht. Dies hat dann, im Umkehrschluss, wiederum Auswirkungen auf das optimale Design von RCTs. Für mich heißt das, auch in diesem auf den ersten Blick etwas abgelegenen Feld, sind Max Webers Gedanken aktueller denn je und werden immer noch aus berufenstem Mund in die derzeitige Methodendebatte eingebracht.
Abschließend noch eine andere Beobachtung und eine weitere Verbindung zu Webers Werk. Unter Wissenschaft als Beruf verstehen wir heute ja vor allem, dass Wissenschaftler (vorrangig) als Antragschreiber tätig sind. Wenn wir also – als Ökonomen oder Data Scientists oder Soziologinnen – die nächsten Großanträge vorbereiten, dann sollten wir noch stärker als bisher auf die gerade beschriebene Synthese – Big Data Methoden – Korrelationen – und ökonomische Theoriebildung nebst Kausalitätsfokus – eingehen. Und dann sollten wir auch auf Weber zurückgreifen: Seine Ideen werden implizit sowieso mit dabei sein, es würde sich aber lohnen, seine Konzepte explizit zu nutzen. Denn wenn wir uns auch sicher nicht alle Antworten zu eigen machen, so sind seine Fragen und Denkstrukturen doch immer noch hochaktuell.